Hexenverfolgung in Bamberg

*Britta Gehm: „Die Hexenverfolgung im Hochstift Bamberg und das Eingreifen des Reichshofrates zu ihrer Beendigung“

Der Bote kam nur um Minuten zu spät. Gegen sechs Uhr im Morgengrauen des 17. Mai 1630 erreichte er die Alte Hofhaltung in Bamberg. Als das Schreiben mit einem Kaiserlichen Mandat, ausgestellt vom Reichshofrat in Wien am 11. Mai, vom Bamberger Fürstbischof Johann Georg II. Fuchs von Dornheim geöffnet wurde, war die 22jährige Dorothea Flock schon tot. Man hatte sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit zunächst enthauptet und dann ihren Körper verbrannt. Ob ihr Mann, Georg Heinrich Flock, das gemeinsame Kind, das Dorothea zwei Monate zuvor in der Haft zur Welt gebracht hatte, je zu Gesicht bekam, ist nicht aktenkundig.

Der Bamberger Ratsherr Georg Heinrich Flock war gerade noch rechtzeitig aus Bamberg geflohen, als seine zweite Frau Dorothea eingesperrt wurde. Seine erste Frau war ebenfalls als so genannte „Hexe“ verbrannt worden. Doch Dorothea stammte aus der angesehenen Nürnberger Familie Hofmann. Diese Familie, zu der Flock sich geflüchtet hatte, setzte nun alle Hebel in Bewegung, um die Schwangere frei zu bekommen. Als daraufhin die bischöfliche Bamberger Regierung merkte, dass der Reichshofrat in Wien, ein juristisches Beratergremium mit weitreichenden Vollmachten, ernsthaft Anstalten unternahm, die Bamberger Hexenprozesse einzuschränken, trat sie die Flucht nach vorne an und versuchte, den Prozess gegen Dorothea Flock so schnell wie möglich zu beenden: Durch Folter wurde die soeben vom Kindbett Aufgestandene zu einem „Geständnis“ gepresst.

Auch wenn die mit dem Mut der Verzweiflung vorgetragene Aktion aus Nürnberg das Leben der jungen Frau Flock nicht retten konnte, so läutete sie doch das Ende der Hexenprozesse in Bamberg ein. Weitere geflohene Hexenhäftlinge aus Bamberg und Zeil am Main ließen sich von den Anwälten der Familie Hofmann vertreten. Auf dem Regensburger Kurfürstentag 1630 (dort wurde Wallenstein abgesetzt) erging ein erneutes, verschärftes Mandat nach Bamberg. Wien forderte die Herausgabe der Akten der Kläger und die Einhaltung der reichsüblichen Rechtsregeln. Die Akten wurden daraufhin, ein letzter krimineller Akt in einem an krimineller Energie und haaresträubender Perversität kaum zu überbietenden Drama, in aller Eile gefälscht. Die letzten zehn noch inhaftierten Häftlinge kamen 1631 frei.

Dieses unrühmliche, aber überfällige Ende der Bamberger Hexenverfolgung ersparte es der Stadt, so die Historikerin Britta Gehm in ihrem spannend geschriebenen Buch*, wirtschaftlich in den vollständigen Ruin zu geraten. Wäre es so weiter gegangen, dann wäre am Ende der letzte Einwohner vernichtet worden – und das Vermögen der Stadt hätte sich vollständig in den Händen des Bischofs und seiner Hexenkommissare befunden. Zwischen 1626 und 1630 war der gesamte Stadtrat hingerichtet worden. Die Schicht der wohlhabenderen Kaufleute war ebenfalls ausgerottet, so dass die Stadt wirtschaftlich schon vor dem Einzug der Schweden (1632) ruiniert war. Die von den Kommissaren konfiszierten Häuser der verurteilten „Hexer“ und „Hexen“ fanden keine Käufer mehr und verfielen.

884 Einwohner des Hochstifts Bamberg lassen sich namentlich als Opfer des Hexenwahns benennen. Sie wurden innerhalb von weniger als 20 Jahren hingerichtet oder starben im Gefängnis an den grausamen Folterungen, von denen manche, wie etwa das Bad in ätzendem Löschkalk, in Bamberg erfunden wurden. Zusammen mit einer Dunkelziffer dürften es weit über 1000 Opfer sein. Damit gehören die Hexenprozesse in Bamberg „zusammen mit den gleichzeitigen Hexenprozessen im benachbarten Hochstift Würzburg … zu den umfangreichsten Hexenverfogungen in der Geschichte überhaupt“ (Gehm, S. 108 f.). Die beiden größten Hexenbrenner der Geschichte – Fuchs von Dornheim in Bamberg und Philipp Adolf von Ehrenberg in Würzburg – kamen im selben Jahr – 1623 – ans Ruder und waren beide Neffen des ebenfalls schon sehr aktiven Würzburger Hexenbrenners Bischof Julius Echter von Mespelbrunn – der bis heute in Würzburg hohe Verehrung genießt. Beide Mordbischöfe starben kurz hintereinander eines frühen Todes – Ehrenberg 1631, Dornheim traf der Schlag 1633 in seinem Kärntner Exil im Alter von nur 47 Jahren. Der „böse Geist“ hinter all dem Treiben, der Bamberger Weihbischof Friedrich Förner, starb bereits 1630. Es ist, als ob mit dem Scheitern ihrer kirchlich-teuflischen „Mission“ ihnen die Energie für ihre Weiterexistenz entzogen worden wäre.

Hatten sie wirklich eine „Mission“? Oder war es nicht einfach die Schreckenszeit des 30jährigen Krieges, die die Menschen ins Chaos stürzte und in den Wahn trieb? Die Historikerin Gehm stellt demgegenüber fest, dass die Verfolgungen gerade dann ihren Höhepunkt erreichten, als die katholische Kriegspartei zum Ende der 1620er Jahre den scheinbar unangefochtenen Höhepunkt ihrer Macht erreichte. Fanatische Katholiken witterten die Chance, die Gegenreformation endgültig durchzusetzen. Förner bedrängte vergeblich Kaiser Maximilian, die protestantische Reichsstadt Nürnberg mit Waffengewalt zu rekatholisieren. Doch auch innerhalb der bischöflichen Territorien wollte man aufräumen. Ziel der Männer um Förner war „die moralische und geistige Erneuerung des Hochstiftes“ und „die Schaffung einer vollkommenen, gottgefälligen Welt“ (S. 269) – im katholischen Sinne natürlich. Die Gesellschaft sollte von der „Hexensekte“ gereinigt werden, und zwar durch „die Ausrottung des Bösen schlechthin, personifiziert in den Hexen und Zauberern“. (S. 113)

Die „peinlichen Befragungen“ der eingelieferten Frauen und Männer hatten daher immer das Ziel, ihnen unter der Folter das „Geständnis“ abzupressen, sie hätten eine Bund mit dem Teufel geschlossen. Es ging also – im Sinne eines vorweggenommenen Orwellschen Überwachungsstaates – um ein unsichtbares „Gedankenverbrechen“. Die Namen der weiteren Teilnehmer an „Hexentänzen“ wurden den bis zum Wahnsinn gefolterten Opfern zur Not auch eingesagt, wenn ihnen keine einfielen. Man hatte ja eh’ schon die nächsten Kandidaten im Auge.

Der Brief, den der Bambergische Bürgermeister Junius kurz vor seiner Hinrichtung an seine Tochter schrieb (den diese allerdings nie erhielt, er wurde abgefangen), ist insofern ein einmaliges Zeugnis. Er schildert, wie ihm seine Peiniger Straße für Straße die Namen von Bamberger Bürgern vorsagten – er musste auf der Folterbank nur „Ja“ oder „Nein“ dazu sagen. Allzu oft durfte er allerdings nicht „Nein“ sagen, sonst wurde er weiter gefoltert.
(Siehe dazu nachfolgende Animation von Ralph Kloos aus Bamberg über die letzten Worte von Bürgermeister Johannes Junius an seine Tochter)

Ein anderer hingerichteter hoher Beamter, der Kanzler Haan, war eine Schlüsselfigur einer Gruppe von Bambergischen Beamten und Politikern, die der Hexenverfolgung sehr kritisch gegenüberstanden. Seine Eltern hatten in Fulda dafür gesorgt, dass der dortige sadistische Hexenmeister Balthasar Nuss abberufen und nach einem zwölfjährigen Prozess (!) ebenfalls hingerichtet wurde. Die Mutter von Haans Frau war in Bad Mergentheim als Hexe verbrannt worden. Haan hatte einer ersten Welle von Verfolgungen (1616-1619) durch geschickte Maßnahmen den Geldhahn zugedreht. In der zweiten Welle ab 1626 gehörte er daher zu den ersten, die man ins Visier nahm. Perfiderweise verbrannte man erst seine Frau und eine seiner Töchter – und zwar, als der Kanzler gerade beim Reichskammergericht in Speyer war, um Schutzbriefe für sie ausstellen zu lassen. Zuvor hatte man einen vierzehnjährigen Jungen unter der Folter dazu gebracht, die Kanzlerfamilie „anzugeben.“ Haan, ein hervorragender Jurist, versuchte noch vom Gefängnis aus auf abenteuerliche Weise, das Reichskammergericht auch in seiner eigenen Angelegenheit anzurufen. Als von dort Mandate eintrafen, hatte er aber bereits unter der Folter „gestanden“. Ein Geständnis, auch ein unter der Folter erpresstes, galt nach damaliger Praxis als endgültiger Abschluss eines Prozesses. Der Ablauf der Verfahren allerdings sprach auch den damaligen Rechtsgepflogenheiten Hohn. Am 14.7.1628 wurde Kanzler Haan am Morgen um 4.30 Uhr in Gegenwart von 80 Leute enthauptet. Am darauffolgenden Tag ließ der Bischof die Leiche öffentlich verbrennen.

In der zweiten Welle wurden auch all diejenigen wieder verhaftet, die man in der ersten Welle hatte freilassen müssen. Denn es sollten keine Zeugen übrigbleiben, die gegen die Kirche aussagen konnten. Die finanziellen Probleme löste man durch Konfiskation eines Teils des Vermögens der Verurteilten. Löschte man eine ganze Familie aus, was nicht selten vorkam, so gehörte den Hexenkommissaren natürlich alles … Bischof Dornheim soll nach einer zeitgenössischen Quelle 500 000 Gulden konfisziert haben.

Bleibt noch die Frage, weshalb ausgerechnet das Städtchen Zeil am Main neben Bamberg zu einem Schwerpunkt der Bamberger Hexenprozesse wurde. Zeitweise – bis zur Errichtung des Bamberger „Malefizhauses“ 1627 – war Zeil sogar die zentrale Stelle der Prozesse. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl (etwa 300) litt das Städtchen weit überproprotional: über 50 Opfer allein in der ersten Welle bis 1619.

Gehm vermutet, dass Zeil zum einen günstig zwischen Bamberg und Würzburg lag: Bischof Aschhausen, der Vorgänger Dornheims, der ebenfalls das „Hexenbrennen“ betrieb, war in Würzburg und Bamberg gleichzeitig Bischof. Außerdem war eine Flucht von Zeil aus sehr schwierig: Man musste entweder das Würzburgische oder das Bambergische Gebiet zur Gänze durchqueren – denn in beiden Gebieten wurden unschuldige Frauen und teilweise auch Männer als Hexen verfolgt. Auf Hilfe der massivst eingeschüchterten Bevölkerung konnte man dabei nicht zählen.

Vielleicht war Zeil aber auch ein Versuchskaninchen für die römisch-katholischen Hexenfanatiker: man erprobte dort in ländlicher Abgeschiedenheit, wie man sowohl einfache Bürger und Bauern als auch Honoratioren (auch in Zeil wurden Ratsmitglieder umgebracht) foltern und hinrichten kann. Die Bevölkerung, die zeitweise aufgrund eines Frostes im Mai 1626, den man den „Zauberern“ in die Schuhe schob, die Verfolgung befürwortete, leistete allerdings später zumindest hinhaltenden Widerstand. Die Hexenkommissare beklagten sich, dass sie dort ihres Lebens nicht mehr sicher seien. Was aber dennoch mehr für die andere Seite gegolten haben dürfte.

Das Buch von Britta Gehm liest sich streckenweise wie ein Kriminalroman. Der sprachunkundige Leser hätte sich vielleicht gewünscht, dass die im Original zitierten amtlichen Verlautbarungen mit eingestreuten lateinischen Brocken in heutiges Deutsch übersetzt worden wären. Doch man kann sie auch überspringen; das Buch ist ansonsten auch für den Laien verständlich und flüssig geschrieben. Auf Grund seiner geradezu detektivischen Exaktheit und seiner nüchternen Dramatik gehört es nicht nur in jeden Bamberger Bücherschrank, sondern auch in die Hände jedes am Thema Inquisition und Hexen Interessierten. Es ist sein Geld wert.

*Britta Gehm: „Die Hexenverfolgung im Hochstift Bamberg und das Eingreifen des Reichshofrates zu ihrer Beendigung“, Georg Olms Verlag Hildesheim, 2000, 362 S.