Die Ausrottung der Katharer

Der Holocaust der katholischen Kirche im Mittelalter

Die Katharer waren zusammen mit den geistesverwandten Bogumilen die größte Ketzerbewegung des Mittelalters. Die Kirche reagierte auf diese Bewegung nicht allein mit deren Ausrottung, sondern darüber hinaus mit der Einrichtung der perfekt durchorganisierten Inquisition.

„Besuchen Sie das Land der Katharer“, liest der Autotourist ein Schild an der Autobahn E 80 zwischen Narbonne und Carcassonne am nördöstlichen Pyrenäenrand im Süden Frankreichs. Ein Blick in den Reiseführer klärt ihn auf: Hier wurden einst im 12. und 13. Jahrhundert „wahre Christen“, wie die Katharer sich nannten, von der römisch-katholischen Kirche wegen ihres „ketzerischen“ Glaubens verfolgt und restlos vernichtet, ausgemerzt. Gleichzeitig kämpften freie Bürger und mächtige Adlige für ihre politische Unabhängigkeit gegen den französischen König, der das Katharer-Land seinem Zentralreich einverleiben wollte. Freiheitsliebende Menschen stritten für das freie Land Okzitanien, das ehemalige Westgotenreich, das das heutige Nordspanien und einen großen Teil Südfrankreichs umfasste, für den Erhalt einer blühenden Wirtschaft und gegen die religiöse Bevormundung durch die geistige Terrorherrschaft der römisch-katholischen Kirche und ihres verlängerten Arms, der ihnen hörigen politischen Obrigkeit römisch-katholischen Glaubens, für die freie Entfaltung der hohen ethischen Kultur des Minnesangs der Troubadours. Doch die Okzitanier verloren den Kampf und mussten sich Kirche und König unterwerfen.

Frischer Blumenschmuck an den Erinnerungsstätten der Katharer

Der Tourismus hat die blutige Geschichte der Katharerbewegung schon längst als gewinnbringenden Markt entdeckt. Unzählige Ansichtskarten von den Schauplätzen der Massaker, gruselige Foltergerätemuseen, Multi-Media-Shows vom Katharer- / Albigenserkreuzzug und vielerlei Souvenirs und Attraktionen mehr werden angeboten. Hinter der Tourismusfassade jedoch spürt der aufmerksame Reisende eine Ernsthaftigkeit der Menschen dieses Landes, diesen unerhörten Holocaust der katholischen Kirche an den Katharern aufklärend und mahnend in Erinnerung zu behalten. So jedenfalls kann man die Sträuße von frischen Blumen an den historischen Mahnmalen deuten. Dafür spricht auch ein überaus reichhaltiges historisches und religiöses Schrifttum, das in den Souvenirläden neben Kitsch und Krempel ausliegt. Oder werden die Katharer heute noch verehrt? Ist der Glaube der „Reinen“ noch in Spuren erhalten?

Keine Sekte, sondern eine europäische Bewegung des Freien Geistes

Im Frühsommer des Jahres 1209 versammelte sich bei Lyon ein Heer angeblich „christlicher“ Kreuzfahrer. Land- und machtgierige Adlige und Kirchenherren, fanatische und abenteuerlustige Soldaten aus dem ganzen Abendland waren dem Aufruf von Papst Innozenz III. gefolgt, den „ketzerischen Unglauben“ der Katharer durch einen Kreuzzug zu vernichten.

Wer waren diese okzitanischen Ketzer, zu deren Ausrottung – „exstirpare“ heißt es wörtlich in der päpstlichen Bulle – die gesamte so genannte „Christenheit“ aufforderte? Welchen todeswürdigen Verbrechens hatten sie sich schuldig gemacht? Die Antwort ist so banal wie schockierend: Sie hatten einen urchristlichen Glauben und damit einen anderen Glauben als den, den die katholische Kirche den Gläubigen vorschrieb.
Den Namen Katharer, was griechisch katharoi = die Reinen heißt (man nannte sie auch Albigenser nach der Stadt Albi), erhielten sie von der sie verfolgenden Kirche. Daraus wurde das Schmähwort „Ketzer“ als Gattungsbegriff für dogmatische Abweichler abgeleitet. Sich selbst nannten die Katharer veri oder boni christiani, die wahren oder guten Christen, denn die Anhänger dieser bedeutendsten spirituellen Bewegung des Mittelalters betrachteten sich als die Vertreter des wahren und unverfälschten Christentums. Die katharische Lehre, die verwandt ist mit den Bogumilen, einer urchristlichen Bewegung im Balkan, hatte sich im 12. Jh. erstaunlich weitreichend ausgebreitet. Glaubenszentren sind in England, den Niederlanden, Belgien, Nordfrankreich und Deutschland ebenso bezeugt wie in der Lombardei, Mittelitalien, im nordspanischen Aragon und in Katalonien. Somit hatte diese urchristliche Bewegung im Freien Geist universellen Charakter und war eine europäische religiöse Bewegung, keineswegs eine regionale „Sekte“, wie sie heute noch von kirchenhörigen Historikern bezeichnet wird.

Erlösung für alle Seelen, statt ewige Verdammnis

Die Glaubenslehre der Katharer beherbergt viele urchristliche Elemente, also Gedankengut der Bergpredigt und der 10 Gebote, die Jesus von Nazareth lehrte, und frühchristliches Glaubensgut Seiner Nachfolger. Der religiöse Kerngedanke ihrer urchristlichen Lehre ist das Wissen um zwei gegensätzliche Mächte, die göttliche = selbstlose Kraft und deren Verpolung in negative Energie, der Gegensatz zwischen Gott und dem Dämon. Diese Sichtweise geht weiterhin von einer Unterscheidung von Geist (oder der reinen Seele bzw. dem guten Gott) und der aus dem Geist heruntertransformierten Materie aus, die sich in Äonen im Laufe der Fallgeschehens („Sündenfalls“) durch zunehmende Verdichtung entwickelt hat, im Kern jedoch ebenfalls geistig ist – eben entstanden aus dem Abfall einst reiner Engelwesen von der geistigen Welt Gottes. Dementsprechend glaubten die Katharer an die Existenz von zwei sich gegenseitig durchdringenden Welten, einer geistigen und einer materiellen. Die in der Materie lebenden Gotteskinder haben jedoch den freien Willen, sich weiterhin in der satanischen Welt aufzuhalten oder sich von ihren Sünden zu reinigen, ein sittenhaftes Leben zu führen und sich Gott wieder anzunähern. Auch im sündigsten Menschen ist das Licht Gottes wirksam, das ihn in das Reich des Guten zurückführen wird.
Zum Glaubensgut der Katharer gehört auch die Reinkarnation, denn vom Verhalten des Menschen in seinem jetzigen Leben hängt es ab, in welchen Leib seine Seele im nächsten Dasein eintreten wird. Schroff lehnten sie die Existenz einer jenseitigen Hölle ab, in die ein angeblich strafender Gott die Sünder auf ewig verdamme, denn jeder Mensch ist sein eigener Richter im Gesetz von Saat und Ernte.

Urchristliche Ideale – eine Provokation für die katholische Kirche

Gerade an diesem urchristlichen Glaubensgut nahm die katholische Kirche Anstoß. Nach dem „heiligen“ Kirchenvater Augustinus glaubt sie, dass der Mensch keinen freien Willen habe, sondern zum Guten oder Bösen vorherbestimmt sei. Er habe nur die Chance, sich Gott bedingungslos unterzuordnen, um seiner Gnade teilhaftig zu werden. Im Sinne der Kirche bedeutete dies, sich dieser Institution und ihren Glaubensdogmen total zu unterwerfen. Die urchristliche Lehre von der Reinkarnation (Wiedergeburt), die noch der Kirchenlehrer Origenes vertreten hatte und die in Spuren auch in den Bibeln der Kirche noch erkennbar ist, war verflucht und aus der Heiligen Schrift getilgt worden. Mit dem Drohinstrument „Angeblich ewige Verdammnis und Höllenstrafe“ verschaffte sich die Kirche Gläubige, die, von Angstpsychosen gequält, sich hilfesuchend der vorgetäuschten und fiktiven Erlösungsmacht der Priester unterwarfen. Das Resultat waren geistig blinde, gehorsame und vor allem manipulierbare Gläubige. An dieser Lehre dunkelsten und angeblich unauflösbaren Wahns der katholischen und übrigens auch der evangelischen Kirche hat sich bis heute [2023] nichts geändert, auch wenn man nicht mehr so gerne darüber spricht.
Zum Ärger der Kirche hatten sich nun die Katharer durch ihren „Unglauben“ diesem Unterwerfungs – und Scheinerlösungsmechanismus der Kirche entzogen. Sie verkündeten eben eine frohe Botschaft.

Der „katharische“ Gläubige erlangt das Heil, indem er sich bzw. seine Seele von allem Leiblichen und Irdischen befreit. Das erfordert eine allmähliche Enthaltung von Geschlechtsverkehr und Fleischgenuss bzw. für die, die es möchten, die Führung eines asketischen Lebens einschließlich der Ehelosigkeit. Des weiteren galt das Armutsgebot; Privateigentum, das der Bereicherung diente, war den Gläubigen nicht erlaubt, insofern sie das Ideal des Gemeinwohls ernsthaft anstrebten.

Mit diesen Glaubens- und Lebensidealen der südfranzösischen Christen konfrontiert, wurde der katholischen feudalen Kirche des Mittelalters mit ihrem Pomp, der weltlichen Prachtentfaltung, dem luxuriösen und sexuell ausschweifenden Lebensstil des höheren Klerus ein Sittenspiegel vorgehalten, dessen Betrachtung sie ins Mark treffen musste. Die „große Hure Babylon“, die „Satanskirche“ oder „die Apokalypse“ waren gängige Metaphern für die Papstkirche, die deren Hass und Neid auf die christliche Konkurrenzreligion nur noch steigerten.

Der Freie Geist, Gott in uns, statt äußere Religion

Die Aufnahme in die urchristliche Gemeinschaft, welche die ursprüngliche Botschaft des Jesus von Nazareth wieder zum Leben erwecken wollte, geschah durch die Seelentaufe, das Consolamentum = Tröstung. Darüber hinaus gab es weder Kulte noch Rituale. Frauen und Männern konnten das Consolamentum nach einer langen Probezeit erhalten. Als „Vollkommene“ (perfecti bzw. perfectae) bildeten sie den Kern der Gemeinschaft im Freien Geist. Und auch nur, wer hier dazu gehören wollte, war zur Befolgung der katharischen Regeln verpflichtet. Neben den „Vollkommenen“ gab es die vielen „Gläubigen“. Das waren Anhänger des freien Christentums, die zwar die katharische Lebensführung für prinzipiell erstrebenswert hielten, aber sich nicht verpflichtet hatten, die disziplinierten Vorschriften des Verzichts einzuhalten.

Die Kritik der Katharer an der katholischen Priester- und Kultkirche war fundamental.
So waren die Sakramente nach ihrer Auffassung nicht nur völlig wert-, wirkungs- und nutzlos, sondern sogar ausgesprochen schädlich und galten als „Schlingen des Satans“, da sie die Gläubigen in einer falschen Sicherheit wiegten. Daher wurden von den Katharern auch alle äußeren Kultformen dieser Kirche, wie Kreuzes-, Reliquien- und Heiligenverehrung, die Totenfürbitten, Kirchengesänge, das Rosenkranzgebet, die Kindertaufe und das Kreuz mit Corpus – in ihren Augen ein menschliches Marterwerkzeug – samt und sonders verworfen. Ihr Gottesdienst war einfach und fand in einer Höhle oder gleich in der Natur statt. Nur das Vaterunser wurde gebetet und in urchristlicher Weise das Brot gebrochen, verteilt und im Sinne eines „Liebesmahls“ in einer Gemeinschaft von „Vollkommenen“ und „Gläubigen“ verzehrt. Das Dogma von der Verwandlung von Wein und Brot in das Blut und den Leib Christi betrachteten die Katharer als heidnisch-magischen Fetischismus.

Volksbewegung contra Machtkirche

Mord, Krieg und Gewaltanwendung lehnten die Christen im Süden Frankreichs ab. Sie hielten sich streng an das 5. Gebot Moses „Du sollst nicht töten“, das auch für das Töten von Tieren galt. Als „Vollkommene“ lebten sie in Gemeinschaftshäusern, denen Schulen und Werkstätten angeschlossen waren, wo Schneidern, Spinnen und Weben gelehrt wurde: „Bete und arbeite“ hieß es nach urchristlichem Gebot. Im Gegensatz zu den Funktionären der etablierten katholischen Staatskirche, die in ihren Herrschaftsgebieten den Kirchenzehnten von ihren Untertanen eintrieben, Sklaven und Leibeigene hielten, lebten die Katharer von ihrer Hände Arbeit und zahlten logischerweise auch kein Geld und keine Naturalien an die Kirche. Damit waren sie von vorneherein ein Dorn in den Augen der totalitären Machtkirche, denn bei der steten Ausbreitung des wiederbelebten urchristlichen Lehre gingen ihr Unsummen an Einnahmen, Waren und Gütern verloren, die sie aus der übrigen Bevölkerung herauspressten.

Das bei den Katharern durch Spenden und Stiftungen eingebrachte Gut wurde dort in ein soziales Netzwerk investiert. Geld wurde nicht gehortet, sondern blieb im Wirtschaftskreislauf und kam letztlich dem Volk zugute. Dieses schätzte, ja verehrte diese „guten Menschen“, denn sie, selbst Männer und Frauen des Volkes, waren dem Volk zugetan mit ihrer Weisheit, Kraft und ihrem sozialem Engagement.
Wir wissen von kundigen urchristlichen Ärzten, Ratgebern, Hauslehrern bei adligen Familien, von dort tätigen Frauen mit ausgezeichneten Kenntnissen im Gartenbau, Hauswirtschaft und Kräuterkunde. Überhaupt, eine Abwertung der Frau und die Verweigerung der Gleichberechtigung, wie sie die katholische Kirche praktizierte und bis heute eisern praktiziert, gab es nicht. Die katharische Gemeinschaft war im Volk verankert, in das soziale und wirtschaftliche Geschehen integriert – sie war eine echte Volksbewegung.

Die Fürsten und Ritter Okzitaniens hatten zwar hinsichtlich ihrer traditionellen Lebensauffassung wenig mit der katharischen Lehre gemein, doch bot sich ihnen diese Religion als natürlicher Bundesgenosse bei der Verteidigung ihrer politischen Macht und ihrer materiellen Interessen gegen die etablierte katholische Kirche an. Der größte Teil des Adels, wenn er sich nicht selbst zu den „Gläubigen“ bekannte, unterstützte daher die Katharer oder ließ sie zumindest gewähren.

Die römische Machtkirche, damals geführt von dem selbstherrlichen Papst Innozenz III., der von sich sagte „Gott hat mich über die Völker und Königreiche gesetzt, um auszureißen und zu vernichten, aber auch um aufzubauen und zu pflanzen“, sah in der urchristlichen Bewegung im Freien Geist eine Gegenkirche im Entstehen begriffen, welche die Existenz der auf der Lüge, sie sei christlich, aufgebauten römische Machtkirche an ihren Wurzeln bedrohte. Denn sie wurde in ihrem Kern als antichristlich, ja als satanisch entlarvt, und das gläubige und tributleistende Volk suchte sich dem Einflussbereich der Priester immer mehr zu entziehen. Innozenz III. belegte daher die Katharer mit dem Bann und beschloss deren Auslöschung mit allen Mitteln der Gewalt:
„Es gehört zu den bedenkenswerten Tatsachen in der Geschichte des Christentums, dass die etablierte, herrschende Kirche in entscheidenden Augenblicken sich für die Anwendung rücksichtslosester und brutalster Gewalt entschied und so gut wie kein Verbrechen ausließ, wenn es geeignet schien, andere Formen des Glaubens abzulehnen“, schreibt der Religionswissenschaftler Gerhard Wehr.

Intoleranz und Gewalt gingen vom „heiligen“ Augustinus aus

Den „Gotteskriegern“, die Papst Innozenz III. gegen die Katharer mobilisierte, verhieß er den „Kreuzzugsablass“, d. h. die angebliche Vergebung aller Sünden. Besser hätte man die Triebfeder für das Töten von Menschen auf dem vorgesehenen Vernichtungsfeldzug nicht spannen können. Der Papstbulle von 1208 vorausgegangen waren die furchtbaren „Ketzergesetze“ von 1199, die jede Art von Gewalttätigkeit, Betrug und Heimtücke gegen die verfolgten Christen erlaubten. Wie konnten solche die Bergpredigt völlig pervertierenden Gesetze entstehen, obwohl diese Lehre des Jesus von Nazareth doch auch in den kirchlichen Bibeln steht? Eine Antwort findet sich zum Beispiel im Johannesevangelium, wonach Jesus von Nazareth der damaligen Priesterkaste vorhielt: „Ihr habt den Teufel zum Vater. Der ist ein Mörder und Lügner von Anfang an.“
Später entwickelte sich eine neue Priesterkaste, die zu allem Übel auch noch den guten Namen von Christus missbraucht und sich nur insofern mit Seiner Lehre dekoriert, wie es den eigenen Zwecken ratsam erscheint.

Die Kirche wusste schon immer die offenkundigen Widersprüche der Bibel zu nutzen, um gezielt ihre Verbrechen, in diesem Falle die Ketzerbekämpfung, zu „heiligen“.
Dabei leistete ihr der „heilige“ Apostel Paulus Unterstützung, der in Galater 1, 8 fordert: „Aber auch wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch ein Evangelium predigen würde, das anders ist, als wir es euch gepredigt haben, der sei verflucht.“.
Gewaltanwendung allerdings war zunächst noch keine gängige Methode der Kirche. Erst als die römisch-katholische Kirche unter Kaiser Konstantin im 4. Jh. Staatsreligion wurde, wurden sog. Häretiker (griech. hairesis = Wahl, Gesinnung, Neigung), die Anhänger eines Glaubens, die nicht den Dogmen der Konzile folgten, zu Gegnern der Kirche und des Kaisers, die mit Gewalt zu bekämpfen seien. „Häresie“ wurde jetzt einem Majestätsverbrechen gleichgesetzt und mit Enteignung und ab Ende des 4. Jh. auch mit der Todesstrafe bedroht – die Grundlage für Millionen Opfer der Kirche in den kommenden Jahrhunderten.

Es war der „ heilige“ Augustinus, der große Verfälscher des Christentums und der Bekämpfer der urchristlichen Lehre, welcher der katholischen Kirche den Freibrief für Gewalt gegen „Irrgläubige“ und als wirksame Mittel Folter und Todesstrafe empfahl. Alle „Ketzerrichter“ der folgenden Jahrhunderte beriefen sich auf Augustinus. Als fadenscheinigen Vorwand für die Anklage der Ketzerei der Katharer diente den trickreichen „Ketzerexperten“ Roms deren „Verteufelung“ der katholischen Kirche, überhaupt die angebliche „Verteufelung“ der materiellen dem Tode verfallenen Welt durch die Katharer, welche die Materie als eine im Laufe von Zeiten von Zeiten sich entwickelt habende Folge der Sündenfalls betrachteten, die jedoch vom Gottesgeist beatmet wird. Somit haben die Männer der Kirche den verhassten Glaubensbrüdern in Okzitanien den Bund mit dem Teufel selbst zum Vorwurf gemacht – die Standardanklage aller künftigen Ketzer- und Hexenverfolgungen war vorgeprägt, die aber nichts anderes war und ist als die Projektion des eigenen Wesens auf die ungeliebten Kontrahenten. Von nun an schoss sich die Kreuzzugspropaganda gegen die Katharer darauf ein, ihnen die Teufelsanbetung, gotteslästerliche Kulthandlungen verbunden mit sexuellen Ausschweifungen anzudichten – auch dies, wie wir vor allem im 21. Jahrhundert wissen, eine Projektion von Hunderttausenden von Sexualverbrechen an Frauen und Kindern durch katholische Priester auf deren Kritiker, die damit in der Regel völlig zu Unrecht beschuldigt wurden.

Der Katharerkreuzzug: „Tötet alle, der Herr kennt die Seinen“

Da man den Katharern keine aggressiven oder rebellischen Ausschreitungen gegen die katholische Kirche vorwerfen konnte, musste 1208 die Ermordung eines päpstlichen Legaten – ein privater Racheakt – herhalten, gegen die Katharer loszuschlagen. Der Erzabt von Citaux überrannte die Stadt Beziers, und da es unmöglich war zu unterscheiden, wer Katholik und wer Katharer war, gab er den Befehl: “Tötet sie alle, der Herr kennt die Seinen.“ Etwa 20 000 Menschen wurden niedergemetzelt, davon 7000 in einem so genannten „Gotteshaus“. „Ein solches an einer heiligen Stätte dargebrachtes Blutopfer entspricht und geziemt dem Gotte, der durch seinen würdigen Stellvertreter solche Gräuel anordnet“, zitiert ein Chronist den Abt. Dann fiel die Stadt Carcassonne. Noch glimpflich kamen die Einwohner mit dem Leben davon. Sie mussten unter Zurücklassung ihrer Habe, die die Kirche konfiszierte, nackt die Stadt verlassen. Bald darauf übernahm der berüchtigte Adlige Simon von Montfort mit dem Beinamen „der Schlechte“ das Kommando des Kreuzzuges, ließ Tausende unschuldige, weil lediglich andersgläubig Männer, Frauen und Kinder bei lebendigem Leibe verbrennen – allein in der Stadt Minerve 400 an einem Tag -, und er verwüstete einer der friedlichsten und schönsten Länder Frankreichs. Als „Streiter Jesu Christi“ und „Retter Roms“ feierte die Romkirche die „Heldentaten“ Montforts.

Fast zwei Jahrzehnte dauerte der Krieg, der auf beiden Seiten mit unerhörter Grausamkeit geführt wurde. Der okzitanische Adel kämpfte erbittert um seine Freiheit; Nationalismus und Katharismus wurden zunehmend deckungsgleich. 1226 griff auf Betreiben des Papstes der französische König Ludwig IX. aktiv in das Geschehen ein und führte, einträchtig Seite an Seite mit dem Papst, einen erbarmungslosen Raubkrieg. Mit dem Fall der letzte Bastion der Katharer, Montsegur, im Jahre 1244 endete der Schreckensfeldzug. Das freie Okzitanien fiel als Beute an die Krone Frankreichs und an den Kirchenstaat. Aber die Katharer blieben ihrem Glauben treu, was für die katholische Kirche der Anlass war, den Feldzug gegen die Ketzer zu einer perfekten Ausrottungsmaschinerie umzufunktionieren – zur „heiligen“ Inquisition – dem bald grausamsten Ausmerzungsinstrument aller Zeiten

Die „heilige“ Inquisition – ein Akt der „grenzenlosen Liebe“ der Kirche

„Ganz allein die katholische Kirche – keine andere der zahllosen anderen Religionen auf dieser Erde – darf den zweifelhaften Ruhm für sich in Anspruch nehmen, ein eigentliches inquisitorisches Glaubenstribunal, eine Zentralbehörde für die Reinhaltung des Glaubens und die richterliche Verfolgung der Häretiker eingerichtet zu haben“, schreibt der Kirchenkritiker Hubertus Mynarek. Für den Kirchenlehrer Thomas von Aquin war es sogar ein „Akt der grenzenlosen Liebe der Kirche“, dass Verneiner der von der Kirche verkündeten einzig tolerierten Glaubensmeinung durch Tod aus der Welt geschafft werden müssen, denn die armen verirrten Seelen würden durch den Hingerichteten nun nicht mehr verführt werden können, um daraufhin angeblich einer ewigen Verdammnis zu verfallen.

Im Laterankonzil von 1179 setzte die Kirche durch, dass alle weltlichen Herrscher gegen Nichtkatholiken vorzugehen hatten. Kaiser Friedrich I. Barbarossa verhängte daraufhin die Reichsacht gegen exkommunizierte „Häretiker“. Damit zeigte sich der Staat auch hier als treuer Erfüllungsgehilfe der Kirche in Sachen Verfolgung Andersgläubiger. „Ketzerei“ war jetzt auch in Deutschland ein angebliches Verbrechen gegen Kaiser und Reich.
1233 setzte Papst Gregor der IX. den Orden des „heiligen“ Dominikus gegen die „Ketzer“ an. Canes domini, „Hunde des Herrn“, wurden die Dominikaner vom Volk genannt, denn wie Spürhunde waren sie hinter den „Ketzern“ her, jagten sie wie wilde Tiere und zerrten sie vor das Inquisitionstribunal. Wegen seiner großen „Verdienste“ im Kampf vor allem gegen die Urchristen im Freien Geist wurde Dominikus von der Kirche kirchenheilig gesprochen. Die Dominikaner lebten in Askese und Armut, was der Kirche vorzüglich als „Armutsmaske“ diente, die sie sich aufsetzte, um damit ihr Image aufzubessern und auch um der echten katharischen Bewegung mit ihrem einfachen Lebensstil die Gläubigen leichter abziehen zu können.

Die vom angeblichen „Stellvertreter Gottes“ auf Erden verordnete Folter.

Ließen „Ketzer“ sich bekehren, schworen sie ab, gelobten sie, den Inquisitoren die „reine Wahrheit“ zu sagen und verrieten sie möglichst viele Helfershelfer ihrer früheren „Ketzerei“, kamen sie damals noch mit relativ leichten Strafen davon im Verhältnis zu Folter und Mord: Geißelung, aufwändige Pilgerfahrten und Tragen des „gelben Kreuzes“ auf Lebenszeit. Weigerten sich Ketzer, ihren angeblichen „Irrglauben“, der ihnen als „Verbrechen“ angelastet wird, zu gestehen, lieferte man sie der Folter aus, die Papst Innozenz IV. 1252 zum festen juristischen Bestandteil des Inquisitionsprozesses (Inquisition= lat. Befragung) machte. Mit diesem Instrument hatte der Angeklagte praktisch keine Chance, denn damit konnten genau jene Geständnisse erpresst werden, die die kirchlichen Scharfrichter hören wollten. Widersetzte sich der Angeklagte einer Bekehrung, wie es die „Vollkommenen“ taten, wurden sie dem Scheiterhaufen übergeben. Weil es den Klerikalen jedoch auf dem Papier verboten war, „Blut zu vergießen“, wurde dies heuchlerisch so erledigt, dass Folter und Tötungen die weltlichen Behörden auf Betreiben der Kleriker durchzuführen hatten. Und wehe, die weltlichen Behörden weigerten sich! Dann würden sie zu den nächsten Opfern der Inquisition. Um der „Gefahr“, sich selbst mit Sünden der von ihnen Abgeurteilten zu „infizieren“, vorzubeugen, erteilten die Inquisitoren sich gegenseitig die Absolution, die angebliche Lossprechung von ihren Sünden, was sich die Kleriker bis heute anmaßen, jedoch nichts als heiße Luft ist; gleich der Anmaßung, auch die Sünden ihrer Gläubigen vergeben zu können.

Eine Aufzählung und Beschreibung der zahlreichen Folterwerkzeuge der Inquisition würde ein ganzes Buch füllen, denn der Erfindungsreichtum einer sadistischen Phantasie, Menschen zu quälen, war enorm. Um zur gesteigerten Verfolgung anzuheizen, wandte die Kirche die perfide Methode an, dass sich Inquisitoren ihren Lebensunterhalt mit dem konfiszierten Vermögen der Opfer verdienen mussten. Sie betrieben also ihr blutiges Handwerk geschäftsmäßig.
Die katharische Ketzerverfolgung mündete in die so genannte Spanische Inquisition unter Papst Sixtus IV., König Ferdinand und Königin Isabella von Spanien, die mit fast zwei Millionen Todesopfern einen grausigen triumphalen Höhepunkt darstellte. Pedro Arbues, der blutgierigste aller Inquisitoren, wurde bedenkenlos in die Liste der Heiligen der katholischen Kirche aufgenommen.

Hat die Kirche aus dem Verbrechen der Inquisition Konsequenzen gezogen?

Im so genannten „Heiligen Jahr“ der Kirche 2000 sprach Papst Johannes Paul II. das „Mea-Culpa“ der katholischen Kirche und bat vordergründig um Vergebung der Sünden. Doch wer geglaubt hat, die Kirche habe sich damit zu ihrer Schuld am Tod der Millionen Opfer der Inquisition bekannt, wer geglaubt hat, dass sie die Verantwortlichen benennt, bereut, soweit möglich durch Rückgabe von konfisziertem Eigentum wiedergutmacht und die furchtbaren Schuldsprüche (Anklagen und Beschlüsse zur Inquisition, die immer noch in den Archiven lagern) vernichtet, der wurde bitter enttäuscht. „In manchen Zeiten haben die Christen bisweilen Methoden der Intoleranz zugelassen …“ – das war alles, was der Papst zum Holocaust, zur Massenvernichtung der Katharer und der vielen Andersgläubigen zu sagen wusste. Und ist nicht nur eine extreme Beschönigung einer vielleicht halben Wahrheit, sondern die ganze Lüge, welche den Fakten der Geschichte nicht annähernd standhielt. Denn hier geht es nicht um Zulassung, sondern um Urheberschaft und auch nicht um Christen, sondern um Anhänger des mörderischen Religions-Systems Baal mit nur christlicher Maskerade.

Zahlreiche wachsame und kritische Zeitgenossen beobachten und berichten in unserer Zeit nun auch von der „neuen Inquisition“ (Hubertus Mynarek), die bis in die Gegenwart von der katholischen und auch evangelischen Kirche in Deutschland gegen andersgläubige religiöse Gemeinschaften betrieben wird, die ihnen ein Dorn im Auge sind – als Nachfolge der früheren Inquisition, denn die Kirchenmacht hat sich nie wirklich geändert, nur jeweils dem Zeitgeist angepasst.
Besonders drangsaliert werden solche, die das echte Christentum wieder lebendig machen und danach leben. Zwar ist das Anzünden der Scheiterhaufen der Kirche verwehrt, aber sie hat die Macht und setzt Mittel ein, den Grundrechten in der Verfassung zum Trotz, Menschen zu denunzieren, deren Arbeitsplätze zu vernichten oder sie auf vielerlei Weise zu schikanieren und in ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Existenz zu bedrohen – und wie einst bekommen sie dabei „Amtshilfe“ vom Staat.
Lesen Sie dazu als eindrückliches Beispiel: Matthias Holzbauer, Die Verfolgung der Prophetin Gottes und der Nachfolger des Jesus von Nazareth.

Die Inquisition wird erst dann ein Ende gefunden haben, wenn die Kirchen die gültigen Menschenrechte anerkannt haben – und danach auch leben.

Weitere Literatur:
– Ketzer contra Kirche, Die Verfolgung der Katharer in Frankreich, in: „Damals“, Magazin für Geschichte und Kultur
– Michel Roquebert, Die Religion der Katharer
Matthias Holzbauer, Verfolgte Gottsucher
– Gerhard Wehr, Esoterisches Christentum
– Hubertus Mynarek, Die neue Inquisition
Der Theologe: Die Katharer – das Gute durch das eigene Leben bezeugen